Spaniel «Zorro» läuft artig an der Leine und zieht nicht – es sei denn, ein anderer Hund taucht auf. Dann ist die Hölle los, und «Zorro» kann nur auf den Hinterbeinen am anderen Hund vorbeigeführt werden. Schäferhündin «Kira», 9 Monate alt, kann die Spaziergänge kaum erwarten – auf den ersten 500 Metern, die sie wegen der stark befahrenen Quartierstrasse an der Leine gehen muss, beisst sie unentwegt in die Leine, rupft daran oder zieht ihr Herrchen hinter sich her. Und Dackelmischling «Willi»? Der hat seine Nase ständig am Boden – und wenn Frauchen auf dem Feldweg den Karabiner der Leine ausklinkt, dann ist «Willi» weg.
Was haben diese drei Beispiele gemeinsam? Bei allen spielt die Leine eine wichtige Rolle. Schauen wir uns dieses in der heutigen Hundehaltung unentbehrliche Hilfsmittel darum einmal aus verschiedenen Perspektiven an.
Leine ist hauptsächlich verknüpft mit Kontrolle
Sucht man im Internet nach einer Definition des Begriffs Leine, findet man unter anderem folgende Erläuterung: «längere feste Schnur, an oder mit der etwas festgemacht wird; dünnes Seil». Redewendungen, in denen das Wort «Leine» vorkommt, verdeutlichen, in welcher Hinsicht wir die Hundeleine hauptsächlich einsetzen – nämlich zur Kontrolle. Jemanden «an der langen Leine» halten bedeutet, diesem einen gewissen Freiraum zuzugestehen; «jemanden an der Leine haben» ist gleichbedeutend mit «jemanden kontrollieren», ähnlich auch «jemanden an die Leine legen», womit gemeint ist, dass man diejenige Person unter Kontrolle bekommt. Und dann wäre da noch das «Zieh Leine!», eine deutliche Aufforderung, sich zu entfernen. Fragt man bei Hundehaltenden nach, was sie mit der Leine assoziieren, fallen als erstes meistens Wörter wie «Einschränkung», «Nicht-Frei-sein» oder «Leinenzwang.»
Gutes Gefühl für andere und Sicherheit für den Hund
Dabei hat die Leine als feste Verbindung zwischen Mensch und Hund auch eine Sicherheitsfunktion – in zweierlei Hinsicht. Schliesslich gibt es nicht nur Hundefreunde auf dieser Welt, sondern auch Menschen aller Altersgruppen, für die ein freilaufender Hund ein Ärgernis ist. Einige haben schlichtweg Angst, wenn ihnen ein unangeleinter Hund entgegenkommt – egal, wie nah sich dieser bei seinem Menschen befindet. Der Anblick eines Hundes an der Leine vermittelt dem Gegenüber ein gutes Gefühl insofern, dass dieser Hund geführt und damit kontrolliert ist.
Die Leine fungiert manchmal auch als Nabelschnur, als sichere Verbindung zwischen Hund und seinem Menschen. Wenn Hunde erschrecken, können sie unter Umständen panisch reagieren – und sie versuchen, den grösstmöglichen Abstand zum Angstauslöser zu gewinnen. Passiert so etwas beispielsweise im Abendverkehr, kann die Leine lebensrettend für den betroffenen Hund sein.
Früher liefen alle Hunde frei ...
Wer glaubt, dass den Urahnen unserer Fellnasen diese Einschränkung erspart geblieben ist, täuscht sich. Die ältesten Nachweise für den Gebrauch von Hundeleinen wurden an den Fundstätten Shuwaymis und Jubbah im Nordwesten Saudi-Arabiens erbracht. Dort fanden sich Darstellungen von Jagdszenen des 7., vielleicht sogar 8., Jahrtausends v. Chr. mit Hunden, die an Leinen laufen. Das schreiben die Autoren Maria Guagnin, Angela R.Perri und Michael D.Petraglia in einem Artikel im «Journal of Anthropological Archaeology» (2017). Warum die Hunde damals an der Leine geführt wurden, ist nicht bekannt. Vielleicht waren es diejenigen mit den besten Nasen, die man auf keinen Fall verlieren wollte; oder aber die Jungspunde, die es zu kontrollieren galt. Auch bei den Römern war die Leine bekannt, wie verschiedene römische Mosaiken beweisen.
Leine ist nicht gleich Leine
Die Hundehaltenden von heute haben punkto Leine die Wahl unter unzähligen Materialien, Farben, Mustern und Verzierungen, so dass die nicht immer geliebte Leine durchaus auch als Schmuckstück über ihre Funktionalität hinaus eingesetzt werden kann. Werfen wir kurz einen Blick auf die drei heute gebräuchlichsten Leinen und ihre Einsatzgebiete.
Klassische Führleine
Diese Leine gibt es in wohl jedem Hundehaushalt. Mit zwei bis drei Metern Länge empfiehlt sie sich an stark frequentierten Strassen, Orten mit Menschen und verschiedensten Reizen. Ein Karabiner wird am Halsband oder Geschirr befestigt, mit dem anderen die Leine auf die gewünschte Länge eingestellt.
Rollleine
1941 wurde der Öffentlichkeit eine Rollleine in der Januarausgabe des Magazins „Popular Science“ vorgestellt. Aber erst 1973 erfand der Deutsche Manfred Bogdahn die erste praktisch verwendbare Rollleine. Sie wurde von ihm unter dem Markennamen «flexi» erfolgreich vermarktet. Heute spricht fast jeder von der Flexi- und kaum einer von der Rollleine. Eine Rollleine sollte immer am Geschirr befestigt werden, da stets mehr oder weniger Zug auf der Leine ist. Wird die Rollleine direkt am Halsband befestigt, lernt der Hund, regelrecht ziehen, da er, um etwas mehr Abstand von seinem Halter zu gewinnen, erst den Rollwiderstand der Leine überwinden muss. Das praktische an dieser Leine ist die automatische Auf- und Abwicklung, so dass sie zum Beispiel nie matschig wird oder man darüber stolpert. Allerdings verlangt der Stoppmechanismus zum Verkürzen der Leine ein gutes Gespür, sonst entfernt sich «Emma» völlig überraschend, weil sie nicht richtig fixiert war. Zu Erziehungszwecken ist sie also weniger zu gebrauchen und empfiehlt sich erst für einen erzogenen Hund. Ein weiteres Handicap: Aus Distanz ist für entgegenkommende Hundehaltende aufgrund der häufig sehr dünnen Rollleine meist nicht sichtbar, ob der Hund an- oder abgeleint ist.
Schleppleine
Unter dem Begriff Schleppleine versteht man eine meist 5 bis 10, in seltenen Fällen bis zu 20 Metern lange Leine, mit oder ohne Handschlaufe, die auf dem Boden hinter dem Hund her schleift. Sie gehört heute zu den gängigen Erziehungshilfen und sollte nur am Geschirr, nie am Halsband, angemacht werden. Ein heftiger Ruck am Halsband, weil «Rex» gerade hinter einem Hasen her flitzen will, kann zu Schädigungen der Halswirbelsäule des Hundes führen. Das Handling mit der Schleppleine ist keinesfalls kinderleicht. Leicht verwickelt der Hund oder der Mensch sich darin, was zu Stürzen führen kann. Auch Brandblasen können vorkommen, wenn die Leine heftig durch die Hände rutscht, weil das andere Ende der Leine einen plötzlichen Satz macht. Wie bei allen Erziehungshilfen braucht es auch hier das richtige „Timing“ und Konsequenz, damit der Einsatz erfolgreich wird. Bei der Schleppleine ist das Material besonders wichtig; zum einen sollte es unbedingt „griffig“ sein, aber auch möglichst leicht und schmutzabweisend.
"Unsichtbare" Leine
Von dieser Leine träumen wohl die meisten Hundehalter. Sie ist aber nicht jedem vergönnt. Sie wird massgeblich von zwei Faktoren beeinflusst – sowohl vom Hund als auch von seinem Halter. Nicht jeder Hundehalter hat die Fähigkeit, Hunde ohne Leine zu führen – und es gibt schlichtweg Hunde, die man beispielsweise aufgrund ihres Jagdtriebes oder grosser Angst nicht überall ohne Leine führen kann. Ein guter Hundeführer ist also nicht unbedingt einer, der seine Hunde ohne Leine führen kann, sondern vielmehr derjenige, der weiss, ob, wann und wo er seinen Hund an die Leine nehmen muss.
Wo muss ich meinen Hund anleinen?
Eine schwierige Frage, die man nicht pauschal beantworten kann – denn dies kann je nach Jahreszeit und/oder Gemeinde, Kanton beziehungsweise Land ganz unterschiedlich sein. Im Hinblick auf die grösstmögliche Sicherheit aller Beteiligten leint ein verantwortungsvoller Hundeführer seinen Hund (auch ohne dafür explizit mittels Schildern aufgefordert zu werden) in folgenden Situationen an: In Naturschutzgebieten; in Städten, Dorfzentren, entlang von Hauptstrassen und Velowegen; in Restaurants sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Kommen auf dem Spaziergang Velofahrer, Jogger, Reiter, andere Personen oder Hundehalter mit angeleintem Hund entgegen, wird der eigene Hund zurückgerufen und entweder angeleint oder «bei Fuss» geführt (vorausgesetzt, er beherrscht dies auch zuverlässig).
Was macht das Leine laufen so schwierig?
Das „ständige Ziehen an der Leine“ gehört zu den häufigsten Problemen, derentwegen Hundehaltende eine Hundeschule aufsuchen. Hunde gehen bis ans Ende der Leine, weil sie zu etwas hin oder von etwas weg wollen. Der dann entstehende unangenehme Widerstand an Hals oder Brust erhöht den Grad ihrer Erregung. Oft wird der Hund sogar belohnt, weil er vorwärts kommt, wenn er sich nur genügend anstrengt. Unser vierbeiniger Gefährte muss also lernen, dass es sich lohnt, sich neben seinem Menschen aufzuhalten – und das, obwohl es so viel Spannendes rundherum gibt.
Ausbildungsphilosophien
Sicher ist: Der früher noch häufig proklamierte „Leinenruck“ ist heute definitiv verpönt. Besser: Durch Shapen oder Schaffen von entsprechenden Situationen den Hund auf Höhe des Beines mit einem Markersignal (Wort oder Clicker) und Belohnung dazu motivieren, diese gewinnbringende Position freiwillig einzunehmen bzw. zu halten. Besonders schwierig ist es für den Hund auch, weil kaum einer seinem Hund diese Aufgabe in einer reizarmen Umgebung z.B. innerhalb der Wohnung bzw. später im Garten üben lässt. Stattdessen gehen die meisten mit dem jungen Hund im Quartier oder Wald und Wiese mit unzähligen z.T. für uns gar nicht wahrnehmbaren Verlockungen laufen. Gib deinem Hund eine Chance auf Lernen in kleinen Schritten was Ausdauer und Ablenkung anbelangt.
Leinenaggression gleich Führungsschwäche?
Noch schwieriger ist für viele Hunde(haltende) die Begegnung mit Artgenossen an der Leine – wie das eingangs erwähnte Beispiel von Spaniel «Zorro» zeigt. Die einen Hunde zeigen aggressives Verhalten aus Angst, andere aus Frust – genetische Faktoren spielen ebenfalls mit, wie auch bereits gemachte Erfahrungen mit Leinenbegegnungen. Nach Meinung vieler Hundetrainer liegt es nur an mangelnder Führung, was allerdings auch zu kurz gegriffen ist: Erfolgreiche Verhaltensänderung bei Begegnungen basiert nach heutigem Wissen auf mehreren Bausteinen. Einer ist die Gegenkonditionierung. Es gibt Reaktionen, die auf Emotionen und nicht auf bewussten Entscheidungen basieren. Bei der Gegenkonditionierung wird der Anblick eines Hundes, natürlich auf entsprechende Distanz, mit einer positiven Emotion verknüpft.
Eine weiterer Baustein ist der parallele Spaziergang. Auf stressfreier Distanz wird dem Hund ermöglicht, die Körpersprache eines entspannten Hundes kennen zu lernen und sich selber dabei auch zu entspannen. Begleitend wird an Alternativverhalten gearbeitet. Der Hund bekommt die Möglichkeit, statt sein bisheriges Verhalten ein neues, lohnendes auszuführen. Ein solches Training sollte von kompetenten Trainern begleitet werden.
Fazit: Die Leine ist in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Lasst uns dieses «Instrument» für unsere geliebten Vierbeiner zu einer positiven Erfahrung werden.